Zuschauer beim Bärenpicknick in Alaska
Ein überaus lohnendes Erlebnis in der Wildnis – wenn man sich an die Regeln hält.
TEXT VON RODERICK EIME
„Machen Sie einfach viel Lärm. Singen Sie, sprechen Sie laut, was auch immer. Bären mögen keine Überraschungen.“
Das sagt der junge Ranger, als wir uns auf den Weg zur mehrere hundert Meter entfernten Aussichtsplattform machen.
Der gewundene Pfad führt durch den alten Wald, schlängelt sich unter tief hängenden Ästen hindurch, überquert kleine Bäche und führt an den Ufern eines tosenden Flusses entlang, in dem es von Lachsen wimmelt. Wir halten kurz an, um einen grossen Braunbären zu bewundern, der hüfttief in einem Tümpel sitzt und behäbig nach den vorbeiziehenden Fischen schlägt.
Scheinbar von der Fülle an laichendem Lachs berauscht, fängt er gelegentlich einen der Fische aus dem Wasser, beisst ihm den Kopf ab und wirft den Kadaver lässig zurück in die Strömung, wo er von mehreren jungen Weisskopfseeadlern aufgefressen wird.
Als ich mich umdrehe, um den Spaziergang fortzusetzen, bemerke ich, dass wir den Rest der Gruppe verloren haben. Da ist nur noch ein weiterer Gast, Glenn. Und ich. „Was soll’s“, merke ich an, „es gibt ja nur einen Weg hier.“
Bärengeruch
Wie hypnotisiert bleiben Glenn und ich plötzlich stehen. „Was um alles in der Welt ist das für ein Gestank?", ruft Glenn und verzieht sein Gesicht vor Abscheu. In der grasbewachsenen Umgebung finden wir keinen Anhaltspunkt und gehen weiter zu dem winzigen Unterstand, der als Aussichtsplattform dient.
Als wir unser Ziel erreichen, ist auch unser Tourguide Jim mit dem Rest der Gruppe vor Ort.
„Wo seid ihr zwei gewesen?" Jim ist nicht erfreut. „Habt ihr auf dem Weg nach oben nicht diesen riesigen Bären gesehen?"
Wir schlucken. Glenn und ich hatten zwei der wichtigsten Regeln gebrochen. Erstens, bei der Gruppe bleiben, und zweitens, auf den Guide hören.
Der Geruch, der Glenn und mich so überwältigt hatte, war der Geruch – nein, der Gestank – von einem ausgewachsenen männlichen Bären, der sich so mit Lachs vollgefressen hatte, dass er hinter einem riesigen gefällten Baumstamm in seinen eigenen Exkrementen eingeschlafen war. Zu dem Zeitpunkt als die nächste Gruppe eintraf, war der Bär wieder wach, stand aufrecht und reckte den Kopf, um zu sehen, wer da gerade vorbeigegangen war.
Seien Sie respektvoll und halten Sie Abstand
Bären zu beobachten, ist ein äusserst lohnendes Abenteuer und recht gefahrlos, solange man sich an bestimmte Regeln hält. Jim Leslie und seine Familie leiten Alaska Waters in Wrangell und begleiten Besucher seit über 30 Jahren auf Touren. Jim ist ehemaliger Soldat der Spezialeinsatzkräfte Green Beret und genau die Art von Mann, die man gern an seiner Seite – oder noch besser: vor sich – hat, wenn es brenzlig wird.
Jim trägt ein schweres Jagdgewehr und eine Dose Bärenspray bei sich, musste bislang aber keines von beidem benutzen. Heutzutage übernimmt Jims Sohn James die Führung auf den Touren und ist auch derjenige, der die Gäste von Hurtigruten Expeditions begrüsst, wenn sie an dem kleinen Aussenposten an der Inside-Passage eintreffen.
„Anders als Eisbären wollen Braun-, Grizzly- und Schwarzbären dir nichts tun, es sei denn, du tust etwas, das sie verärgert“, erinnert uns Jim, „zum Beispiel wenn du dich zwischen eine Mutter und ihre Jungen stellst. Das bedeutet Ärger."
Es macht sich ganz grundsätzlich bezahlt, einen respektvollen Abstand zu Bären zu halten. Wenn Sie versehentlich in ihre Nähe kommen, starren Sie ihn nicht an und machen Sie keine plötzlichen Bewegungen oder Geräusche, die den Bären erschrecken und aus der Ruhe bringen könnten.
„Bären sind wie grosse Hunde, die zwar bellen, aber nicht wirklich zubeissen wollen", sagt Jim. „Sie kennen die Guides, und wenn man sich ruhig und vorhersehbar verhält, tun sie das auch.“
Bärenmutter
Forscher haben kürzlich herausgefunden, dass Braunbären und Grizzlys tatsächlich zur selben Spezies (Ursus arctos) gehören, wobei die an der Küste lebenden Bären im Allgemeinen grösser sind als die in den Wäldern im Landesinneren, manchmal um bis zu 500 Kilogramm.
Während wir im Schutz der kleinen Rotunde sitzen und uns unterhalten, führt eine Schwarzbärenmutter zwei putzige Jungtiere an den Waldrand. Mit einem sanften Brummen weist sie sie dazu an, sich im Unterholz versteckt zu halten. Sie huscht über das offene Gelände zum Flussufer, schnappt sich mühelos einen fetten Lachs, marschiert dann stolz zurück in den Wald und verschwindet mit den Jungen zum Fressen.
Da Schwarzbären kleiner sind, sind sie normalerweise vorsichtiger. Eine Begegnung mit einem grossen Braunen endet für einen Schwarzbären – oder für seine Jungen – in der Regel nicht gut.
Ein wichtiger Teil des Ökosystems
Bären spielen eine entscheidende Rolle im Ökosystem Alaskas, da sie bei ihrer Futtersuche Nährstoffe im Wald verteilen. Sie sind auch ein wichtiger Teil der Inuit-Kultur, in der diese mächtigen und intelligenten Kreaturen mit höchstem Respekt behandelt werden und in vielen alten Ritualen und Zeremonien eine wichtige Rolle spielen.
Während Bären in den meisten Teilen der Welt vom Aussterben bedroht sind, ist Alaska ein intakter Lebensraum mit gesunden Populationen und viel Platz um umherzustreifen. So ist es für die Bären leicht, sich von den Menschen fernzuhalten – und umgekehrt.
Wenn Sie mit Hurtigruten Expeditions hierher reisen, haben Sie die Gelegenheit, Bären in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. Unsere Reise „Alaska und Kanada – Aleuten, Bären und die Inside-Passage“ an Bord des hochmodernen Expeditionsschiffs Roald Amundsen ist selbst für erfahrene Expeditionsreisende ein spannendes Erlebnis.
Der Katmai-Nationalpark ist nur einer der Orte auf unserer Reise. Das Reservat beherbergt die grösste geschützte Braunbärenpopulation der Welt mit mehr als 2.000 Tieren.
Ein Kodiak-Moment
Der Kodiakbär ist eine einzigartige Unterart des Braunbären, die ausschliesslich auf der Kodiak-Inselgruppe in Alaska lebt. Die Bären leben hier völlig isoliert von anderen Braunbären, und das schon seit Tausenden von Jahren. Auf den Inseln des Kodiak-Archipels gibt es reichlich Nahrung und Lebensraum, sodass die Population hier nicht nur gesund und stark ist, sondern die Bären auch die grössten der Welt sind. Ein männlicher Bär auf Kodiak kann bis zu 680 Kilogramm wiegen und ist bis zu drei Meter hoch, wenn er auf seinen Hinterbeinen steht.