Die ersten Schritte
Es gibt nichts Aufregenderes als Ihre allererste Anlandung in der Antarktis! Egal, wie gut Sie sich im Vorfeld informiert haben – nichts könnte Sie auf das unglaubliche Gefühl vorbereiten, wenn Sie einen Fuß auf diesen geheimnisvollen Kontinent setzen.
DAN AVILA
Es heißt, je intensiver eine Erfahrung ist, desto wertvoller ist sie. Einzigartige Momente, die einen unauslöschlichen Eindruck in unserem Kopf hinterlassen, werden zu bleibenden Erinnerungen, die uns über Jahre hinweg begleiten.
Die ersten Schritte auf dem Grund und Boden der Antarktis, einer der letzten wirklich unberührten Gebiete unserer Erde, haben genau diese Wirkung – und wie bei allen Erlebnissen von so großer Bedeutung versüßen Vorbereitung und Vorfreude die Zeit, bis es endlich so weit ist.
Es gibt kein anderes Expeditionsziel, das mit der Antarktis vergleichbar wäre. Die Unberührtheit und ihre Extreme entfachen ein Gefühl echten Abenteuers. Mit jedem großen Abenteuer ist aber auch eine gewisse Herausforderung verbunden. Von Ushuaia und den relativ geschützten Gewässern des Beagle-Kanals in der südamerikanischen Region Feuerland aus fährt MS Roald Amundsen südwärts in die oft sehr stürmische Drake-Passage ein. Das mit Hybridantrieb versehene Expeditionsschiff wurde eigens für diese Gewässer gebaut. Bereits während der Überfahrt beginnen die Vorbereitungen für den Höhepunkt unserer Reise.
Der Schutz des Paradieses
Der erste Schritt zur Erhaltung der empfindlichen Umwelt besteht darin, sicherzustellen, dass keine fremden Arten in die Antarktis eingeschleppt werden. Nach dem Einschiffen melden sich alle Gäste bei den Reinigungsstationen. Dort wird ihre Kleidung sorgfältig abgesaugt und gereinigt, um sicherzustellen, dass während der Anlandungen keine Pollen und Samen in die Antarktis gelangen. Ebenso werden Kamerataschen und Rucksäcke gereinigt und inspiziert. Über diese sichtbaren Verunreinigungen hinaus wird auch auf mikrobieller Ebene ein gewisser Schutz gewährleistet. Und zwar, indem alle Reisenden wasserdichte Expeditionsstiefel erhalten, die unmittelbar vor jedem Verlassen des Schiffes sterilisiert werden.
Hurtigruten ist Mitglied der International Association of Antarctic Tour Operators (IAATO), einer Organisation, die eine Reihe von Protokollen zum Schutz der Antarktis bereitstellt und zugleich Abenteurern unglaubliche Erkundungsmöglichkeiten bietet. Zu diesen Regeln gehört unter anderem eine strikte Begrenzung der Teilnehmerzahl bei jeder Anlandung. Das dient nicht nur dem Schutz der Antarktis und ihrer Tierwelt, sondern wirkt sich auch positiv auf den Erlebnisfaktor der Gäste aus. Der Anlandungsprozess ist so organisiert, dass die Gäste in Bootsgruppen eingeteilt und an Land gebracht werden.
Schritt in eine fremde Welt
Draußen an Deck merken wir schnell, dass wir die Welt, wie wir sie kennen, hinter uns gelassen haben. Die Luft ist schneidend kalt. Typisch antarktische Seevögel fliegen über den Schiff hinweg, einschließlich spektakulärer Wanderalbatrosse und agiler Sturmvögel. Vorboten dafür, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis der nächste Meilenstein unserer Reise am Horizont erscheinen wird – das Eis.
Schon der Anblick des ersten tafelförmigen Eisbergs steigert Vorfreude und Aufregung ins Unermessliche. Der Kapitän steuert das Schiff sicher an dem 80 Meter hoch aufragenden Gebilde vorbei, das sein ganz eigenes Ökosystem hat, einschließlich einer Pinguinkolonie und Schwärmen von Raubvögeln. Schließlich sind wir unserem Ziel ganz nahe.
Das omnipräsente Surren der Elektromotoren verstummt. Die Aufregung steigt, während das Schiff zum Stillstand kommt. Dabei nutzt es sein dynamisches Positionierungssystem, das es ihm ermöglicht, ohne Verwendung eines Ankers fest auf Position zu bleiben.
Die Gäste erhalten eine gründliche Einweisung zu Ablauf und Verhalten bei der Anlandung. Zuerst geht das Expeditionsteam von Bord, um den Anlandungsplatz zu inspizieren und vorzubereiten. Die Spannung wächst. Und dann die ersehnte Ankündigung über die Lautsprecher: „Die Gruppe ‚Wanderalbatros‘, bitte kommen Sie in zehn Minuten zum Startbereich für die Anlandungen.“
Endlich sind wir an der Reihe. Wir greifen zu unseren Kameras und gehen hinunter zum Startbereich für die Anlandungen. Unsere Gruppe wird in die Black Box geschleust. Dieser fensterlose, versiegelte Raum vermittelt einem das Gefühl, an einer militärischen Elite-Mission beteiligt zu sein. Das erwartungsvolle Lächeln auf den Gesichtern bestätigt, dass alle dieselbe Vorfreude teilen.
Achtung, fertig, los!
Dann öffnen sich plötzlich die Türen. Wir bewegen uns mit geschärftem Bewusstsein und versuchen, die plötzliche Flut von Sinneseindrücken zu verarbeiten – das helle Sonnenlicht, die eiskalte Polarluft und die kreischenden Rufe der Seevögel, die das leise Brummen der Außenbordmotoren unserer Landungsboote übertönen.
Mit Hilfe der routinierten Besatzung steigen wir ein und legen nur wenige Zentimeter über dem eiskalten antarktischen Wasser fahrend das letzte kurze Stück zu unserem Anlandungsplatz zurück. Was für ein berauschendes Gefühl, nicht mehr nur Beobachter sonder Teil dieser gradniosen Landschaft zu sein.
Kurz vor Ankunft umrunden wir die Landzunge eines natürlichen Hafens und beobachten einen Seeleoparden, der sich auf dem Eis ausruht. Das Tier bleibt völlig ungerührt liegen und lässt sich von der Aufregung seiner Beobachter nicht aus der Ruhe bringen.
Und dann setzen wir den ersten Schritt auf antarktischen Boden oder, genauer gesagt, auf felsigen Untergrund. Ich kann nur vermuten, dass dies genau das Gefühl ist, das auch Entdecker ganz neuer Welten empfinden müssen. Nachdem man im Vorfeld alles minutiös geplant und eine weite Reise zurückgelegt hat, um das Außergewöhnliche zu erleben, hat man nun den Eindruck, eine Grenze zu überschreiten.
Genau so müssen sich früher die Entdecker gefühlt haben!
Das Gefühl von Ehrfurcht und Dankbarkeit ist überwältigend. Die winzigen Eiskristalle und die kleinen Steine, die von den rauen Bedingungen ganz glattgeschliffen wurden, sind ebenso faszinierend wie die hoch aufragenden Gipfel, die von Gletschern in allen erdenklichen Blau- und Grüntönen fest umschlossen werden.
Während einer Expedition in die Antarktis gibt es zahlreiche Anlandungen, die außergewöhnliche Kontraste von Landschaften, Wildtieren und Umgebungen offenbaren. Der Nervenkitzel, den man bei diesen Anlandungen verspürt, lässt niemals nach, denn man weiß, dass die Antarktis immer wieder alle Erwartungen übertrifft. Es ist wie ein Rausch.
Auf einer Anhöhe stehend, die in gleißendes Sonnenlicht getaucht ist, nur wenige Meter von einer Zügelpinguinkolonie entfernt, frage ich einen Mitarbeiter des Hurtigruten-Teams, warum Anlandungen in der Antarktis so bedeutsam sind.
„Wir Menschen wollen nur das bewahren, was wir lieben und schätzen“, sagt er mit einem Lächeln. „Und nun geh und sieh dich um!“