Der Weiße Wanderer
Mit mehr als 25 Jahren Erfahrung auf dem siebten Kontinent ist Tudor Morgan einer der erfahrensten Expeditionsleiter in der Antarktis bei Hurtigruten.
JOCELYN PRIDE
Die Aufschrift auf der Queen’s Polar Medal von Tudor Morgan lautet „Für Verdienste um die Wissenschaft und den Schutz der Antarktis“. Seit mehr als 25 Jahren erkundet er mit dem British Antarctic Survey und dem Antarctic Heritage Trust sowie als Vertreter der International Association of Antarctica Tour Operators (IAATO) diesen endlos weiten, geheimnisvollen Kontinent. Als Hurtigruten-Expeditionsleiter ist es Tudors Ziel, die Antarktis-Erfahrung jedes einzelnen Gastes so einzigartig wie möglich zu gestalten.
WAS HABEN SIE SELBST IN DER ANTARKTIS GELERNT?
“Geduld zu haben, realistisch zu sein und das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen.”
— Tudor Morgan
Was zog Sie ursprünglich in die Antarktis?
Als Waliser war ich in meiner Kindheit von verschiedensten antarktischen Denkmälern und Gedenkstätten umgeben. Cardiff hat seit jeher eine sehr starke Verbindung zu den Polarregionen, da es viele der frühen Expeditionen unterstützte und die Kohle hierfür lieferte. Diese war damals die energieeffizienteste Antriebsmöglichkeit – sozusagen der Raketentreibstoff früherer Tage. Mein Vater nahm mich immer mit zu Tretbootausflügen auf dem lokalen See, wo die Gallionsfigur von Robert Scotts Schiff Terra Nova an dem kleinen Leuchtturm ausgestellt war. So wurde ich auf das glorreiche Zeitalter der Polarforscher aufmerksam und mir war klar, dass ich auch in diesem Bereich arbeiten wollte.
Was reizt Sie am meisten daran, Expeditionsleiter bei Hurtigruten zu sein?
Man wacht morgens auf und sieht, an welchem neuen Ort man gelandet ist. Es ist ein aufregendes Gefühl, diesen Ort gemeinsam mit den Gästen zu erkunden und ihnen dieses oder jenes zu zeigen. Man kann dabei das ungläubige Staunen in ihren Augen bereits förmlich vor sich sehen. Auf lange Sicht gesehen ist es großartig, zu wissen, dass man in die Nachhaltigkeit investiert. Unsere neuen Schiffe, MS Roald Amundsen und MS Fridtjof Nansen, sind die saubersten und umweltfreundlichsten Expeditionsschiffe, die zurzeit in Betrieb sind. Es ist mir wichtig, für ein Unternehmen zu arbeiten, das meinem Ethos entspricht.
Was ist Ihr größtes Bestreben als Expeditionsleiter in Bezug auf die Reiseroute?
Eindeutig, den größtmöglichen Wow-Faktor zu erreichen. Zu diesem Zweck arbeiten wir eng mit dem Kapitän und dem Schiffsmanagement zusammen, um zu versuchen, immer zur besten Zeit am besten Ort zu sein. Obwohl wir unsere Reiserouten immer zwei bis drei Jahre im Voraus planen, hängt letztlich jeder einzelne unserer Schritte von den aktuellen Umwelt- und Wetterbedingungen ab. Ein Teil der Herausforderung besteht darin, jede Situation aufs Neue zu betrachten und zu beurteilen, was möglich ist. Können wir hier Kajakfahren? Oder Schneeschuhwandern? Von wo hat man die beste Aussicht? Sind alle Mitarbeiter am richtigen Ort, um unseren Gästen das bestmögliche Erlebnis zu bieten? Meine Aufgabe ist es, diese Prozesse ständig zu überprüfen, zu überwachen und neu zu beurteilen.
Was hoffen Sie, nehmen Ihre Gäste von ihrer Antarktis-Erfahrung mit?
Ich hoffe, dass sie als Botschafter für die Antarktis nach Hause zurückkehren und hinterher sagen können, dass diese Reise alle ihre Erwartungen übertroffen hat. Der Reiz, die entlegensten Orte zu besuchen, liegt zum Teil auch darin, zu verstehen, warum diese Orte so entlegen sind. Wie kam es dazu, dass diese Orte so sind, wie sie sind? Die direkte Interaktion mit der Umwelt und das gezielte Reisen an einen bestimmten Ort bestärken den Wunsch, das, was man dort erlebt, besser zu verstehen.
Was haben Sie selbst in der Antarktis gelernt?
Geduld zu haben, realistisch zu sein und das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen.
Was macht die Bedeutung der Antarktis im weltweiten Kontext aus?
Wenn Sie die Welt als ein großes Zahnrad betrachten, steht die Antarktis im Mittelpunkt. Sie reguliert das Klima, sie reguliert den Süßwasserhaushalt, sie spendet Leben. Als Kontinent ist sie für die Ökosysteme der Welt von größter Bedeutung.
Aber sie ist auch ein mystischer Ort, fast ein bisschen wie die Büchse der Pandora. Da sie faktisch unbewohnt ist, kann sie uns entscheidende Hinweise darauf geben, wie die Welt im Grunde funktioniert. Sie ist der Siebte Kontinent, der „verlorene“ Kontinent.
Gab es ein besonderes Erlebnis in der Antarktis, das sich von allen anderen unterscheidet?
Ich hatte viele solche Erfahrungen. Meine Frau zu treffen war definitiv eine davon. Aus meiner Sicht als Reiseleiter habe ich jedoch sofort eine bestimmte Nacht vor Augen. Wenn die Bedingungen es zulassen, bieten wir unseren Gästen die Möglichkeit, im Zelt zu übernachten. Ich war mit einer kleinen Gruppe von Gästen in der Marguerite Bay, südlich des Polarkreises. Wir bauten die Zelte an einem Ort namens Horseshoe Island auf und machten eine Wanderung. Wir konnten die gewaltige Größe der Antarktis spüren – das Licht, die Stille, die Abgeschiedenheit –, aber stets mit der Gewissheit, dass ganz in der Nähe ein Schiff als sicherer Rückzugsort lag.
Später saß ich einfach da und ließ diese perfekte Balance zwischen Landschaft und Geschichte auf mich wirken. Ich dachte darüber nach, wie glücklich ich war, an einem so außergewöhnlichen Ort sein zu dürfen. Dort zu sein und dieses Erlebnis mit den Gästen zu teilen, war reine Magie.
Was wäre Ihr Rat an jemanden, der selbst von einem Abenteuer in der Antarktis träumt?
Wenn du gehen willst, dann geh einfach. Sei flexibel, denn je offener dein Geist ist, desto mehr wirst du von dieser Erfahrung profitieren. Auch wenn du dich vor allem für die Wildtiere oder die Geschichte der Antarktis interessierst – vergiss auch die Wissenschaft nicht, die Biologie, die Geologie, die Glaziologie. Die Antarktis hat so viel zu bieten. Man muss sie mit eigenen Augen sehen.