Am Steuerruder
Kapitän Kai Albrigtsen gewährt einen seltenen Einblick in die vielfältigen Aspekte, die er und sein Team dabei tagtäglich zu berücksichtigen haben.
JUSTIN MENEGUZZI
Auf der Kommandobrücke von MS Roald Amundsen macht Kapitän Kai Albrigtsen einen ruhigen und gelassenen Eindruck. Vor den Panoramafenstern jedoch schlagen hohe Wellen gegen das Schiff, das sich mühevoll seinen Weg südwärts in Richtung Antarktis bahnt. Wir befinden uns in der berüchtigten Drake-Passage, einer tausend Kilometer langen Wasserstraße zwischen dem südlichsten Punkt Südamerikas und der Antarktischen Halbinsel. Sie ist berüchtigt für ihren zuweilen sehr starken Seegang, der schon einmal für ein mulmiges Gefühl im Magen sorgen kann. Doch den Kapitän lässt dies völlig unbeeindruckt.
„Ich werde niemals seekrank“, erklärt Kapitän Kai Albrigtsen. „Dazu habe ich gar keine Zeit. Ich bin viel zu beschäftigt damit, den absolut besten Kurs durch diese Gewässer zu finden.“
Kapitän Albrigtsen ist im Laufe seiner 30-jährigen Karriere so oft in die Antarktis gefahren, dass er längst aufgehört hat, mitzuzählen. In dieser Zeit hat er gelernt, das Wetter und die Art und Weise, wie sich das Eis auf dem Wasser bewegt, zu „lesen“ und immer ein Dutzend Alternativen parat zu haben, falls der ursprüngliche Plan verworfen werden muss. Er hat auch gelernt, dass sich letztendlich alles zum Guten wendet, wenn man nur geduldig genug ist. Aufgrund seiner Erfahrung und Intuition kann er das 21.000 Tonnen schwere Schiff professionell durch die Drake-Passage navigieren.
“Dieses Schiff ist ein riesiger Schritt in Richtung Zukunft”
— Kapitän Kai Albrigtsen
Fahrt in eine grüne Zukunft
Es braucht wirklich ein gut funktionierendes Team, um eine Maschinerie wie die von MS Roald Amundsen am Laufen zu halten, eines der weltweit ersten Expeditionsschiffe mit Hybridantrieb. Das Schwesterschiff, MS Fridtjof Nansen (ebenfalls ein Hurtigruten-Schiff), ist das einzige andere Schiff dieser Art. „Dieses Schiff repräsentiert einen wichtigen Schritt in die Zukunft“, sagt Albrigtsen, der 2017 zum Kapitän ernannt wurde. „Alles ist auf dem neuesten Stand der Entwicklung. Es ist ein sehr technisches und ziemlich kompliziertes Schiff, dessen Betrieb viel Training erfordert. Dass Hurtigruten mir dieses Schiff als erstem Kapitän überhaupt anvertraut hat, ist für mich eine große Ehre.“
Albrigtsen erklärt, dass MS Roald Amundsen in der Lage ist, durch die Verwendung von Batterien zur Ergänzung der Dieselmotoren in einem als „Peak Shaving“ bezeichneten Prozess Energie zu sparen. Dadurch werden die Emissionen jährlich um mehr als 20 Prozent gesenkt. Als Kapitän ist Albrigtsen dafür verantwortlich, die Batterie hinzuzuschalten, um das Schiff auch bei rauem Wetter stabil zu halten und bei Bedarf zusätzliche Energie zu liefern. Neben der Überwachung des Schiffsbetriebs arbeitet Kapitän Albrigtsen mit dem Chief Officer und dem Expeditionsleiter an Bord zusammen, um die tagtäglichen Expeditionsaktivitäten zu koordinieren.
Gemeinsam überprüfen sie die neuesten Wetter- und Eisberichte, um so die besten Orte zu ermitteln, an denen die Reisenden in der Antarktis an Land gehen können. Sicherheit hat dabei natürlich immer höchste Priorität.
„Wenn Sie derjenige sind, der das Okay für eine Anlandung gibt, müssen Sie absolut sicher sein, dass diese Operation keinerlei Risiken birgt und die Bedingungen an diesem Tag weitgehend gleich bleiben“, erklärt er.
Das Leben eines Kapitäns zur See
Kapitän Albrigtsens Tag beginnt normalerweise um 6 Uhr morgens, wenn die Bedingungen am ruhigsten sind und die aufgehende Sonne das antarktische Wasser langsam in goldenes Licht taucht. Er genießt dann die Aussicht von der Brücke bei einem Morgenkaffee und unterhält sich mit seiner Crew, während sie gemeinsam die neuesten Wettervorhersagen überprüfen. Um 7:30 Uhr, nachdem er und die Expeditionsleiter einen zufriedenstellenden Plan entwickelt und überprüft haben, dass die Bedingungen sicher sind, bringt er das Schiff in Position. Zu dieser Zeit kommen die ersten Gäste zum Frühstück aus ihren Kabinen, ohne sich der detaillierten Logistik und Planung bewusst zu sein, die bereits stattgefunden hat, während sie noch geschlafen haben.
Obwohl das Schiff jetzt auf Position ist, sitzt Kapitän Albrigtsen nicht untätig herum. Mit einem schlauen Grinsen versichert er, dass es ein sehr notwendiger und wichtiger Teil seiner Arbeit sei, jeden Anlandungsplatz genau zu kennen – denn natürlich muss er die Passagiere darüber informieren, was sie hier erwartet. Deshalb zieht er seine Schwimmweste über, nimmt an Anlandungen und Expeditionen teil, fährt an riesigen Gletscherwänden und historischen Walfangstationen vorbei und erkundet Kolonien von Pinguinen. Am Abend kehrt er dann auf die Brücke zurück und beginnt mit der Planung für den nächsten Tag.
Albrigtsens Lieblingsroute in die Antarktis beginnt in Punta Arenas im Süden Chiles, inmitten der weitläufigen Gebirgszüge Patagoniens. Auf dieser Route wird auch eine Anlandung am Kap Hoorn versucht, bevor die eigentliche Fahrt in die Antarktis beginnt. Egal welchen Weg man einschlägt, sagt Albrigtsen, letztendlich kommt man immer in der Antarktis an – ein glanzvoller und wunderbarer Moment, der niemals an Reiz verliert, egal wie oft man diesen Kontinent schon besucht hat: „Selbst wenn ich die Antarktis erst vor ein paar Tagen verlassen habe, freue ich mich schon wieder darauf, das nächste Mal dort hinunter zu fahren.“
Hinterlasse keine Spuren
Unerschrockenen Reisenden, die davon träumen, die Antarktis zu besuchen, empfiehlt Albrigtsen, vor ihrem Besuch die Geschichten berühmter Entdecker wie Sir Ernest Shackleton und Roald Amundsen zu lesen. Die Geschichte des Kontinents und die Herausforderungen der frühen Entdecker zu kennen, so seine Überzeugung, verleiht diesem Erlebnis ein besonderes Maß an Wertschätzung und Ehrfurcht vor dem, was diese durchgemacht haben. Genau wie die berhmten Polarforscher, spielt auch heute noch jeder Reisende eine wichtige Rolle dabei, die Antarktis in ihrem unberührten Zustand zu erhalten - für die dort lebenden Wildtiere ebenso wie für zukünftige Generationen.
„Wenn man die Antarktis besucht, versteht man, wie sehr alles voneinander abhängt, vom winzigen Krill bis zu den Walen, und auch, wie anfällig dieses System ist“, erklärt Albrigtsen. „Wir müssen die Antarktis vor den Einflüssen der Außenwelt schützen.“