Auf Maderia Bedeutet Essen Leben

1856 hatte Königin Victoria bereits fast ein Drittel ihrer Herrschaftszeit hinter sich gebracht und irgendwo in einem Keller auf Madeira wurde eine Flasche süßen Weines verkorkt. 165 Jahre öffnete der glückliche Autor sie.

JAMES LOVEDAY

Es war ein Glücksfall, dass ich eines sonnigen Nachmittags das Weingut Barbeito auf Madeira besuchte. Das Weingut liegt auf einer Klippe mit beeindruckendem Blick auf Funchal, die Hauptstadt der Insel, und den endlos erscheinenden Atlantischen Ozean.

Bei meiner Ankunft, noch bevor ich mich überhaupt hingesetzt hatte, wurde mir ein Glas mit leicht gekühltem, bernsteinfarbenen Sercial gereicht. Von dem Moment an wusste ich, dass dies ein guter Tag werden würde. Während ich durch die Weinkeller von Barbeito schlenderte, sprach ich mit dem Weinhersteller und kostete im Verlauf des Tages die von ihm angebotenen speziellen Madeira-Varianten. Es dauerte nicht lange und mein Gastgeber bat mich in seinen persönlichen Verkostungsraum.

Hier teilte er mir dann mit, dass er mich einen „56er“ probieren lassen würde. Es folgte eine kleine Pause und mit einem verschmitzten Lächeln fügte er hinzu: „Es ist ein 1856er.“ Die Weinflasche stammte aus seiner persönlichen Kollektion und trug den Stempel dieses Jahrgangs. Ich habe schon öfter alte Weine gekostet, aber allein beim bloßen Gedanken an das Alter dieses Weins bekam ich weiche Knie. Ich setzte mich also hin, atmete tief durch und genoss jede feine Note der Gewürz-, Nuss- und Melasse-Aromen, die diesen fast zwei Jahrhunderte alten Wein ausmachten.

Der ganz spezielle Wein Madeiras wurde zufällig erfunden als man Fässer mit Tafelwein öffnete, die auf Seereisen als Ballast verwendet und nach einer Fahrt probiert wurden. Die lange Reise bei heißen Temperaturen hatte dazu geführt, dass der Wein erhitzt und quasi von der Sonne gekocht wurde, was auch als „Madeirisieren“ bezeichnet wird. Als man den Wein später einschenkte, war er dickflüssiger, süßer und geschmacksintensiver als normal und kam bei den Leuten sehr gut an.

Das Land hier ist fruchtbar – eine grüne Oase inmitten der Wüste des Meeres.

Wenn man das erste Mal auf die Insel kommt, fallen einem sofort die imposanten Gipfel auf, die bis hoch in die Wolken ragen. Sie thronen majestätisch über den Wellen des Atlantiks. Das Land hier ist fruchtbar – eine grüne Oase inmitten der Wüste des Meeres. Der vulkanische Boden liefert wertvolle Nährstoffe, sodass es den Einheimischen möglich ist, eine erstaunliche Anzahl und Vielfalt an Obst, Gemüse und Blumen anzupflanzen. Dies ist einer der Gründe dafür, warum sich Madeira zu einem perfekten Reiseziel für Gourmets entwickelt hat, die authentische lokale Gerichte entdecken möchten.

Ich habe die Fajã dos Padres besucht, die etwas westlich von der Hauptstadt liegt und nur mit der Bergseilbahn erreichbar ist. Es handelt sich um eine kleine Farm mit Gasthaus und Restaurant am Fuße eines riesigen Felsens. Hier gibt es nicht nur Trauben von erlesener Qualität, sondern auch Bananen, Mangos, Avocados, Papayas, Passionsfrüchte und Zuckerrohr – und Sie können all das ganz frisch im Rahmen einer Tour inklusive Verkostung genießen. Oder Sie bestellen sich einfach im Café, was Sie möchten. Die hausgemachte Mango-Eiscreme war einer meiner Favoriten. Beim Essen habe ich beobachtet, wie die Wellen gegen die dunkelgrauen Steine am Strand schlugen, und ich stellte mir vor, wie einsam und allein sich die frühen Siedler wohl gefühlt haben müssen, als sie hierher kamen, um ihre Nutzpflanzen anzubauen. Ich muss aber auch ein wenig schmunzeln, denn sie waren mit Sicherheit überrascht davon, wie fruchtbar das Land war.

Das Obst und Gemüse von der Fajã dos Padres endet normalerweise auf dem Mercado dos Lavradores (Bauernmarkt) in Funchal, Madeiras von der Kolonialzeit geprägten Hauptstadt. Das hier präsentierte Angebot an Obst und Gemüse ist gigantisch. Ich habe fünf Arten von Bananen entdeckt, über zehn verschiedene Sorten von Passionsfrüchten, Dutzende von Chilisorten, Zimtäpfel und nicht zu vergessen die seltenen und exquisiten Früchte der Pflanze Monstera Deliciosa, die auch als Köstliches Fensterblatt bekannt ist. Die Frucht ist lang und kolbenförmig und wenn sie reif ist, kann man sie aufbrechen, um an das Fruchtfleisch im Inneren zu gelangen. In Madeira wird so viel Zuckerrohr angebaut, dass daraus fässerweise Export-Rum hergestellt wird und dann immer noch jede Menge Melasse für eine weitere lokale Spezialität übrig bleibt: den berühmten „Honig“-Kuchen der Insel. Es handelt sich dabei um einen dunkelbraunen, klebrigen und saftigen Kuchen mit lokalen Gewürzen und Nüssen.

Im historischen Reid Palace Hotel habe ich mir – nicht ohne Schuldgefühle – noch eine weitere süße Sünde gegönnt. Das Hotel wurde in den Jahren nach der britischen Herrschaft gebaut und ist ein eleganter, von majestätischen Gärten umgebener Rückzugsort. Madeira war in der Vergangenheit ein wichtiger Hafen und Zwischenstopp auf Reisen von Afrika nach Südamerika. Pflanzen, Blumen und Obstsorten aus aller Welt kamen mit dem Schiff nach Madeira und vieles davon blieb in den Gärten des Reid Palace Hotels. Ein Nachmittagstee auf der Terrasse ist hier ein absolutes Muss. Für eine Stunde fühlte ich mich wie ein britischer Diplomat, der gerade auf der Insel eingetroffen ist, um bei der Eröffnung des Hotels dabei zu sein – damals, im Jahr 1891. Ich genieße den Blick auf die Palmen, den tropischen Garten und den azurblauen Horizont – die perfekte Kulisse für Cremetörtchen, Pastel de Nata (Puddingtörtchen) und ein paar britische Scones. Die Hauptstadt Funchal ist die ideale Ausgangsbasis, um die Insel zu erkunden. Die belebten schmalen Gassen sind mit Blumen geschmückt – von ganz hoch oben bis hinunter zum Atlantik. Es gibt hier zahllose alte Festungen, Klöster und Kirchen, die diesem portugiesischen Territorium mitten im Ozean eine gewisse Würde verleihen. Wenn der milde Abend naht und eine kühle Brise vom Meer herüber weht, speist man auf Madeira fast ausschließlich im Freien. Überall auf den Plätzen stehen Tische und Stühle, man kann auch oben auf den Felsen sitzen und essen, es gibt Imbissstände am Strand und zahlreiche Restaurants verstecken sich in den kleinen Kopfsteinpflastergassen.

Wenn man ein Lokal betritt, wird normalerweise direkt ein Poncha serviert – lokaler Rum mit verschiedenen Fruchtsäften gemischt. Danach geht es dann mit der Weinkarte weiter, auf der madeirische oder portugiesische Weine stehen. Überall auf den Speisenkarten findet man hier den furchterregend aussehenden Schwarzen Degenfisch sowie einen köstlichen Rindfleischspieß genannt Espetada. Da frisches Obst und Gemüse in solcher Vielfalt vorhanden ist, wundert es mich nicht, dass vor allem ein Gericht einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat: Tomatensuppe mit pochiertem Ei und gegrillter Kürbis mit Käsefüllung.

Man könnte ein ganzes Jahrzehnt auf Madeira verbringen und würde es trotzdem nicht schaffen, alle Köstlichkeiten zu probieren, die die Insel zu bieten hat. Bei meinem Aufenthalt habe ich mir noch einen weiteren Ort angeschaut – Curral das Freiras, das „Tal der Nonnen“. Hier, inmitten einer dramatischen Berglandschaft, haben die Einheimischen ihr Leben seit Generationen den Kastanien gewidmet. Kastaniensuppe, Kastaniensalate, Kastanienpasteten und Kastanienkuchen werden an jeder Ecke serviert, ebenso wie der äußerst beliebte Kastanienlikör. Während ich auf einer Dachterrasse sitze und ein Stück Kastanienkuchen essen, blicke ich auf den Wald im Tal der Nonnen, und die Wolken ziehen erneut über die Gipfel der Insel. Im Hintergrund läutet der örtliche Glockenturm und sein Echo zieht durch das Tal. Es war ein perfekter Moment der Harmonie zwischen Natur, frischem Essen und Alleinsein. In meinem Kopf festigte sich der Gedanke daran, wie stark das Essen auf dieser Vulkaninsel mit dem Leben hier verwoben ist.

Penguins perched on the ice of Cuverville Island, Antarctica. Credit: Espen Mills / HX Hurtigruten Expeditions

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